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Vorbemerkung

In den vergangenen Monaten wurde das deutsche Schulsystem – im allgemeinbildenden wie im berufsbildenden Bereich – auf den Prüfstand gestellt. Viele Lehrer*innen haben mit großem Engagement und der Unterstützung durch die Eltern dazu beigetragen, den Herausforderungen der Krise zu begegnen und mithilfe digitaler Werkzeuge den Bildungsauftrag der Schulen zu erfüllen. Dabei hat sich gezeigt, dass diejenigen erfolgreicher waren, die die Digitalisierung in der Schule bereits vorangetrieben haben und dies auch aufgrund der Unterstützung durch Schulträger und Schulaufsicht konnten. Vielerorts mussten sowohl Lehrkräfte als auch viele Schüler*innen im Selbststudium einen Crash-Kurs in Sachen digitaler Bildung absolvieren. An einigen Vorreiterschulen ist es gelungen, einen wichtigen Anteil des Unterrichts durch Fernunterricht sowohl in Echtzeit als auch in Lernformen mit selbständiger Zeiteinteilung zu gewährleisten.

Andererseits traten auch die eklatanten Versäumnisse in Sachen digitaler Bildung und die uneinheitlichen Voraussetzungen der einzelnen Bundesländer deutlicher denn je zutage. Häufig mangelt es an grundlegender digitaler Infrastruktur, passenden Online-Lernangeboten sowie dem notwendigen Know-How bei Lehrkräften, um kurzfristig den Unterricht in einen "virtuellen Klassenraum" zu verlagern.

Wenngleich nicht jede, der in der Zeit der Krise gefundenen Notlösungen, unmittelbar auf die Zeit danach übertragen werden kann, so können die gewonnen Erfahrungen im Umgang mit OnlineLernplattformen und digitalen Tools genutzt und gewinnbringend für die Rahmenbedingungen eines Schulalltags in einer neuen Normalität adaptiert werden. Unterrichtsausfall aufgrund fehlender Lehrkräfte und Räume kann auch nach der Pandemie durch zeitweisen digitalen Fernunterricht abgemildert werden. Klassischer Unterricht und digitale Lern- und Arbeitsformen ergänzen und stärken sich so gegenseitig.

Um die dringend notwendige digitale Schultransformation wirksam voranzutreiben, braucht es jetzt eine gemeinsame sofortige Digitalisierungsoffensive von Bund, Ländern und Kommunen, die über die bisherigen Maßnahmen hinausgeht. Bei dieser Transformation der Schulen kann es nicht um eine Eins-zu-Eins-Übertragung des Analogen ins Digitale gehen, stattdessen müssen Lernstrukturen und -prozesse neu gedacht und weiterentwickelt werden. Dafür haben sich verschiedene Stakeholder aus den Bereichen der Bildung und Digitalisierung zusammengefunden und verfolgen gemeinsam das Ziel nachhaltiger digitaler Bildung. Hierfür sehen wir sieben Punkte als zentral an, die sich in den folgenden Handlungsempfehlungen manifestieren:

Die Corona-Pandemie verdeutlicht den Wert des Präsenzunterrichts und den des persönlichen Kontakts von Lehrkräften und Schüler*innen  erneut. Sie hat aber gleichzeitig auch das enorme Potenzial von digital unterstützten Lehr- und Lernformen als sinnvolle Ergänzung zu bereits etablierten Unterrichtsformen gezeigt, die beispielsweise kollaboratives Arbeiten stärken und zur Unterstützung des "Home-Learnings" genutzt werden können. Ein ersatzweise durchgeführter Online-Fernunterricht ermöglicht persönlichen Kontakt und direkte Interaktion zwischen Schüler*innen und Lehrkräften. Jetzt und zukünftig gilt es, digitale Lern- und Lehrmittel unter dem Primat der Pädagogik verstärkt in den Schulen zu nutzen und die Möglichkeiten digitaler Unterrichtstechnologien aktiv zu gestalten und gewinnbringend in den Schulalltag zu integrieren. In der Unterrichtsgestaltung muss Schule dabei die Anforderungen und die Standards einer zunehmend automatisierten, vernetzten und digitalen Lebens- und Arbeitswelt reflektieren. Der Einsatz digitaler Medien und Plattformen leistet einen wichtigen Beitrag dazu, die heutige Schülergeneration auf die Herausforderungen der heute zunehmend digitalen Arbeitswelt und des lebenslangen Lernens rechtzeitig vorzubereiten.

 

Die gegenwärtige Situation hat aufgezeigt, wie wichtig neben der Hard- und Software-Ausstattung an Schulen auch eine flächendeckende Versorgung mit digitalen Arbeitsgeräten und der notwendigen Software für das häusliche Lernen ist. Für digital unterstützten Unterricht muss unabhängig von den Verhältnissen in den Familien sichergestellt werden, dass alle Schüler*innen einen gleichwertigen Zugang zu Bildung erhalten. Dafür hat der Bund kurzfristig 500 Mio. Euro bereitgestellt. Diese Maßnahme ist sehr zu begrüßen. Allerdings wird eine gießkannenartige staatliche Finanzierung in Höhe von 150 Euro pro Schüler*in für die Ausstattung mit digitalen Endgeräten nicht ausreichen. Stattdessen sollten nachhaltige flexible Konzepte für die Ausstattung von allen Schüler*innen mit digitalen Lern-Endgeräten einschließlich der Software und des Zugangs zum Internet umgesetzt werden, die mit Einmal-Anschaffungskonzepten beginnen, besonders schnell für Schüler*innen aus ökonomisch benachteiligten Verhältnissen wirksam werden und in dauerhaften Finanzierungs- und Ausstattungskonzepten münden. Gelungener digital-gestützter Unterricht kann nur funktionieren, wenn die Anschaffung der Endgeräte durch qualitativ hochwertige digitale Bildungsinhalte ergänzt wird. Viele Anbieter haben ihr Angebot während der Corona-Krise kostenlos zur Verfügung gestellt. Dies kann kein Dauerzustand sein. Um diese Angebote pädagogisch weiterentwickeln zu können, müssen langfristige Finanzierungsstrukturen für digitale Bildungsinhalte von Bund und Ländern etabliert werden. Zudem muss der Zugang zum Internet sowohl im ländlichen Raum als auch in finanzschwachen Familien gesichert sein. Der Ausbau einer digital unterstützten Bildung hilft auch, die digitale Spaltung im Klassenzimmer zu überwinden. Beide Herausforderungen sollten jetzt gleichzeitig und nicht nacheinander angegangen werden.

Alle Kinder und Jugendliche, die auf IT-Systeme im schulischen und außerschulischen Kontext angewiesen sind, benötigen informatische Grundlagen, um anwendungsbezogene, technische und gesellschaftliche Perspektiven digitaler Technologien einschätzen zu können. Dazu sollte bundesweit flächendeckender Informatikunterricht ab der Sekundarstufe I angeboten werden, der auf alle drei Perspektiven eingeht und so die Medienbildung ergänzt und unterstützt. Gleichzeitig sollten digitale Werkzeuge in allen Fächern eingesetzt werden, wenn sie einen pädagogischen Mehrwert schaffen können. Informatik vermittelt dabei die Grundlagen, die es Schüler*innen ermöglichen, digitale Medien und Technologien erfolgreich für das lebenslange Lernen zu nutzen, neue Phänomene zu verstehen und ihren Alltag sowie ihre berufliche Zukunft als digital mündige Bürger zu gestalten. Informatik sollte daher aufgewertet und mit anderen MINT-Fächern gleichgestellt werden.

Nicht erst seit der Corona-Krise müssen Kompetenzen im Umgang mit digitalen Technologien verstärkt Eingang in die Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften und allen weiteren Pädagog*innen finden. Dabei geht es nicht nur um Anwenderkompetenzen im Umgang mit digitalen Tools, sondern auch um didaktische Fähigkeiten des Lehrens und Lernens mit digitalen Medien sowie um Informatik- und Medien-Kompetenzen. Grundkompetenzen in diesen Gebieten ermöglichen ein technisches Verständnis von Anwendungen und erlauben, eine Einschätzung der Chancen und Risiken der verwendeten Technologien vorzunehmen. Es ist an der Zeit, eine grundständige schulform- und schulstufenspezifische Ausbildung sowie eine kurzfristige Weiterbildung mit hoher Reichweite für alle Lehrkräfte in diesen Bereichen einzurichten, die es ihnen ermöglicht, Unterricht zeitgemäß und zukunftsorientiert zu gestalten. Zwingend erforderlich sind gesicherte Fortbildungszeiten, um eine kontinuierliche Weiterbildung zu gewährleisten. Angesichts der großen Bedeutung von Medien im Alltag sowie der digitalen Transformation der Gesellschaft, die insbesondere die sozialen, medialen und ökonomischen Bereiche betrifft, ist Medienkompetenz ein zentrales Element, um Selbst- und Weltverhältnisse reflektieren zu können und Selbstbestimmung zu ermöglichen. Technologische und gesellschaftliche Entwicklungen sind durch vielfältige Wechselwirkungen miteinander verbunden. Vor dem Hintergrund eines solchen Verständnisses und Lernarrangements, die die Bedeutung digitaler Medien und Systeme für die individuelle und gesellschaftliche Entwicklung in den Blick nehmen, werden Gestaltungspotentiale erkennbar.

Die Nutzung der von Bund und Ländern bereitgestellten Online-Lernplattformen und Bildungsinhalte darf keine Corona-Ausnahmelösung bleiben. Stattdessen müssen solche Angebote flächendeckend an Schulen gebracht und verlässlich für die Unterrichtsorganisation und -durchführung in Form von interaktivem Fernunterricht in Echtzeit und selbstständigem und kollaborativen Lernen zur Verfügung stehen. Während der Corona-Krise wurden zu diesem Zweck 100 Millionen Euro des Digitalpakts zur Anschaffung von Online-Lernplattformen zur Verfügung gestellt. Über diese Initialinvestition hinaus bedarf es weiterer finanzieller Mittel, die unabhängig vom Digitalpakt als dauerhafte Haushaltsmittel zur Verfügung stehen müssen. Bei der Einrichtung sicherer Plattformen sollte mittelfristig von Insellösungen abgesehen werden. Interoperabilität, Übertragbarkeit und Sicherheit von Lernmaterialien sowie flächendeckende, niederschwellige Zugänge müssen garantieren, dass die Plattformen auch weitreichend angewendet werden können. Diese Plattformen müssen gepflegt und mit dauerhaften Fortbildungsangeboten verknüpft werden, um die Kooperations- und Kommunikations-Möglichkeiten digitaler Technologien für die Schule nutzbar zu machen. Speziell in berufsbildenden Schulen als Bindeglied zur Wirtschaft sind die Anforderungen der Betriebe zu berücksichtigen. Um hier erfolgreich sein zu können, müssen Technik und Didaktik zusammengeführt werden und e-Didaktik-Konzepte entwickelt werden. Die berufliche Bildung braucht deshalb digitale Klassenräume, die über Schulgrenzen hinweg untereinander vernetzt sind und einen Wissenstransfer ermöglichen.

Die Corona-Krise zeigt akut: Schulen brauchen eine zeitgemäße digitale Infrastruktur. Diese zu etablieren und zu pflegen ist entscheidend, um eine digital unterstützte Lehre zu ermöglichen. Dafür braucht es ausgebildetes IT-Fachpersonal. Diese Aufgabe an Lehrkräfte zu delegieren, ist vor dem Hintergrund der Komplexität moderner IT-Infrastrukturen, des hohen Bedarfs an Fachlehrkräften und des nötigen fachlichen Wissens seit Jahren der falsche Weg. Personelle und technische Ressourcen müssen an aktuelle Standards angepasst, neu strukturiert und erweitert werden. Darüber hinaus bedarf es in ausreichendem Umfang der Beratung von Lehrkräften und Schulträgern zur Verwendung von passenden digitalen Unterrichts-Lösungen und zur Stärkung der Medienbildung an den Schulen ausgebildete Medienpädagog*innen. Um Digitalpaktmittel nachhaltig für digitalen Unterricht zu investieren, müssen Schulträger bei der Erstellung ihrer Anträge noch konkreter unterstützt werden, damit pädagogische Medienkonzepte und IT-Infrastruktur im Einklang miteinander stehen und Lehrkräfte digitale Lösungen zur Unterstützung von Lehr- und Lernprozessen und zur zeitgemäßen Umgestaltung von Schulen integrieren können. Medienpädagog*innen können und müssen eng mit Lehrkräften und Schulsozialarbeiter*innen zusammenarbeiten, um didaktische und technische Aspekte zusammenzuführen und diese Lücke zwischen Pädagogik und Technik institutionell zu schließen. Die Etablierung zentraler Dienste wie bspw. Identity Management Systeme (z. B. Schullogin in Sachsen oder Bremen), Dienste für die Zusammenarbeit in den Schulen, standardisierter Service für die Beschaffung, Pflege und den Ersatz von Hardware sind essentiell, um Lehrende von technischen Verwaltungsaufgaben zu entlasten.

Eine zeitgemäße Arbeitsausstattung ist eine zwingende Notwendigkeit. Lehrkräfte und Pädagog*innen aller Bildungseinrichtungen dürfen künftig nicht weiter gezwungen sein, private Technik nutzen zu müssen. Die Bereitstellung der erforderlichen Arbeitsgeräte der Lehrkraft durch den Arbeitgeber muss eine Selbstverständlichkeit sein. Daher sollte allen Lehrkräften und Pädagog*innen aller Art eine ihren jeweiligen beruflichen Anforderungen entsprechende personengebundene Ausstattung zur Verfügung gestellt werden, bspw. Notebook, Headset und Webcam inkl. erforderlicher Software. Dabei ist darauf zu achten, dass sie für einen reibungslosen Unterricht ggf. zusätzlich die gleichen Geräte zur Verfügung haben wie ihre Schüler*innen (bspw. Tablets). Der Anfang wäre gemacht, wenn die Lehrkräfte, die sich für digitale Veränderungen besonders engagieren, mit einer persönlichen Ausstattung direkt unterstützt werden.

Unterzeichnende Organisationen